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Ruhig Brauner!
Dunkel Hell

Ruhig Brauner!

  • Aktivist*innen erzählen, wie sie den 15.02. erlebt haben.

Der Dritte Weg rief für den 15.02. unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“ zu einem Fackelmarsch durch Bamberg auf. Die Programmatik des Dritten Weges erinnert stark an die der NSDAP. Der Verfassungsschutz stuft sie als „höchst gewaltbereit“ ein. Ein Neonazi-Aufmarsch in Bamberg, dem gerichtlich eine lange Route durch die Innenstadt genehmigt wurde. Durch die Hauptstraßen, über zwei Brücken und am Rathausplatz endend, im Herzen der Stadt.

In der Stadt sind verschiedene Aktionen geplant, um den Neonazis zu zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind. Ein „Fest der Demokratie“ für Demokrat*innen findet auf dem Maxplatz – dem gleichzeitigen Endpunkt des Dritten Wegs — statt. Ein interreligiöser Gottesdienst, geplant am Markusplatz, an dem die Zwischenkundgebung der Neonazis abgehalten werden soll. Und eine Gegendemonstration soll parallel zu der Route der Rechtsextremen verlaufen. Wir finden es gut, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, heute ein Zeichen zu setzen, und sich jede*r auf seine*ihre Weise einbringen kann.

Wir entscheiden uns auf die Gegendemonstration zu gehen. Wir sind verschieden politisiert, haben unterschiedliche Demo-Erfahrungen: Für manche waren Fridays-for-Future-Streiks bis dahin das Maximum an politischen Aktivismus, andere haben schon Sitzblockaden mitgemacht.

12:38 – Vor der Demo

Uns erreichen erste Nachrichten über angebliche Neonazi-Gruppen in Bamberg. Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland werden erwartet. Die Stadt ist voller Polizist*innen.

Zu diesem Zeitpunkt sind wir noch daheim, in der Bibliothek am Lernen, kommen am Bahnhof an oder kaufen ein. Bei manchen setzt jetzt ein mulmiges Gefühl ein; erlebte rechte Anfeindungen haben Eindruck hinterlassen. Morddrohungen im eigenen Umfeld gehen nicht spurlos an einem vorbei.

15:00 – Versammlung auf dem Marienplatz

Auf dem Weg zur Gegendemonstration haben manche beim „Fest der Demokratie“ vorbeigeschaut.

Entspannte Stimmung am Marienplatz, die Sonne scheint, die Startkundgebung fühlt sich an wie ein kleines Festival – wären wir nicht umringt von Polizei. Vertreter*innen von KIBA (Kultur. Information. Bildung. Antifaschismus!), Fridays for Future, der Linken und VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) reden.

Wir stehen zwischen Eltern mit Kindern auf den Schultern, Rentner*innen, anderen Studierenden und Schüler*innen. Hinter dem Demowagen versammeln sich schwarzgekleidete Kleingruppen. Sie haben den Schal übers Kinn gezogen und schirmen sich ab.

Langsam setzt sich der Demozug in Bewegung.

16:15 – Marienplatz: Jetzt geht’s los!

Der bunte Haufen an Demonstrant*innen mit selbstgemalten Schildern biegt nach der Marienbrücke in die Franz-Ludwig-Straße Richtung ZOB ein. Etwa 150 Meter entfernt sehen wir das erste Mal die Neonazis, die sich am Kreisverkehr formieren – wir checken: sie sind wirklich da. In unserem Bamberg. „Nazis raus!“ – und wir rufen mit.

Der Demozug wird schneller, dynamischer, wir verlieren uns für einen Moment.

Die Sprechchöre werden lauter, bis wir bei der Zwischenkundgebung ankommen.

17:00 – Grüner Markt: Mittelfinger hoch!

Die Menge verteilt sich um den Gabelmann, es gibt weitere Reden. Währenddessen filmt die Polizei den Gegenprotest. Unser Sicherheitsempfinden, für das die Polizei eigentlich sorgen soll, wird durch die zahlreichen, auf uns gerichteten Kameras der Beamt*innen gestört.

Wir erwarten den vorbeiziehenden Neonazi-Marsch in der Langen Straße. Durch eine Sitzblockade wird dieser erfolgreich gestört und zwischenzeitlich verzögert. Wir sehen Fackeln und Fahnen und unsere Mittelfinger gehen hoch. Faschismus ist ekelhaft, Demokrat*innen müssen sich dagegen stellen! Hinter den aufgereihten Polizist*innen: Menschenverachtung und Hass. Neben uns: Dagegenhalten und Einstehen für die Demokratie. Der Gegenprotest ist laut. Sehr laut. Und alle schreien mit. „Alerta alerta antifascista!“, aus Überzeugung lassen wir uns mitreißen.

Als die Neonazis hinter der rechten Ecke verschwinden gehen wir bestärkt weiter. Es ist dunkel geworden. Am Holzmarkt findet unsere Endkundgebung statt, die Gegendemo ist vorbei. Wir brechen mit anderen Antifaschist*innen Richtung Maxplatz auf – wo die Schlusskundgebung des Dritten Wegs stattfinden soll.

18:10 – Maxplatz: Nur Geduld

Wir warten. Keine Neonazis in Sicht. Auch das „Fest der Demokratie“ geht langsam zu Ende. Einige stellen sich um die Gitter, die den Bereich umzäunen, der für die Neonazis vorgesehen ist. Die Polizei ist nach wie vor präsent.

Über Twitter halten wir uns über den Verlauf des braunen Fackelzugs auf dem Laufenden. Der Zug sei durch eine Sitzblockade auf der Löwenbrücke aufgehalten worden. Wir hören von einer größeren Ansammlung auf der Kettenbrücke und beschließen uns, ein eigenes Bild von der Lage zu machen.

19:00 – Kettenbrücke: Es ist noch nicht vorbei

Auf der Kettenbrücke haben sich ein gemischter Haufen Bamberger Bürger*innen und die üblichen Verdächtigen der linken Szene versammelt. Leute aus verschiedenen Parteien, Eltern mit Kindern, Rentner*innen mit Blumen. Es wird sich unterhalten, geraucht, Sprechchöre angestimmt. Alle wollen verhindern, dass der Dritte Weg die geplante Route ins Herz der Stadt einschlagen kann.

Die Stimmung wird angespannter. Durch Twitter erfahren wir, dass die Stimmung bei den Neonazis aufgrund der Kettenbrückenblockade zu kippen scheint und sie offen mit Gewalt drohen. Wir können nicht einschätzen, was als nächstes passieren wird. Nur eines ist klar: wir bleiben.

Nach mehreren Verhandlungsrunden mit der Polizei willigt der Dritte Weg einer neuen Route Richtung Erlöserkirche ein. Der Neonazizug zieht unter lautem Gegenprotest vorbei. Wir laufen mit den anderen Aktivist*innen zur nächsten Brücke. Nach dem Erfolg auf der Kettenbrücke sind wir uns einig, dass wir den Fackelzug noch weiter blockieren wollen. Die kommen heute nicht mehr rein.

20:13 — Luitpoldbrücke: Keine Brücke für Faschist*innen

Auf der nächsten Brücke sammeln sich wieder einige Bamberger*innen um den Faschist*innen auf der anderen Seite weiter zu zeigen, dass sie hier unerwünscht sind. Der Zug des Dritten Wegs zieht unter Klängen eines Trauermarschs weiter Richtung Marienbrücke – die nun auch der Gegenprotest zum Ziel hat.

Da die Polizei den direkten Weg zur Brücke angeblich schon gesperrt hat, versuchen wir über die Friedrichstraße dorthin zu gelangen. Wir laufen über den Kreisel in die Augustenstraße – an deren Ende eine Reihe Polizist*innen den Weg zur Marienbrücke versperrt. Ein bisschen unsicher besprechen wir uns erst einmal. „Die Polizei kommt und will euch kesseln!“ Adrenalin. Wir rennen los. Doch die Polizei macht binnen Sekunden die Straße dicht.

20:33 – Augustenstraße: Positive Vibes im Kessel

Verwirrung. Einzelne diffamierende Rufe in Richtung Polizei werden aus unseren Reihen mit „Halt die Fresse!“ gestoppt. Stattdessen wollen wir positive Vibes senden. Singen Wonderwall, Lemon Tree und Bohemian Rhapsody. Die Stimmung wird gelassener, auch auf Seiten der Polizei.

Wir stellen uns auf ein längeres Warten ein. Doch bei „99 Luftballons“ löst sich die Polizeisperre unerwartet auf und wir strömen jubelnd zu den anderen Gegendemonstrant*innen an der Marienbrücke. Für den Protest ein weiterer Motivationsschub. Und gemeinsam rufen wir „Siamo tutti antifascisti“.

21:00 bis 21:16 – Marienbrücke: Widerstand lohnt sich

Wir haben es geschafft: Der Dritte Weg muss seine Abschlusskundgebung an einer Hausecke fernab der Innenstadt abhalten. Und selbst diese wird von unseren Sprechchören gestört. Zwischen dem Dritten Weg und dem Gegenprotest steht nur eine Reihe Polizeibeamt*innen. Nur ein paar Meter entfernt die Redner*innen der Neonazis. Aber wir sind immer noch viele Bamberger*innen. Und wir sind immer noch laut.

Vereinigte Linke waren treibende Kraft der Blockaden. Aber jede Person, die heute auf der Straße war hat den Unterschied gemacht: egal, ob auf dem „Fest der Demokratie“, beim Gottesdienst, auf der Gegendemonstration oder bei den Blockaden. Wir haben gezeigt, dass geschlossener Widerstand Erfolg hat.

Der Ottfried bittet um Verständnis, dass die Autor*innen dieses Textes ausnahmsweise anonym bleiben. Die Gefahr, die von Rechsextremist*innen ausgeht, wollen wir nicht unterschätzen und unsere Autor*innen nicht vermeidbaren Gefährdungen aussetzen.

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