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Zwischen Politik und Nervenkitzel — vom Eurovision Song Contest und der Jewrovision
Dunkel Hell

Zwischen Politik und Nervenkitzel — vom Eurovision Song Contest und der Jewrovision

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  • Pure Euphorie — So erlebte die “Jewrovision”-Teilnehmerin Lena Prytula das jüdische Musik-Event. Ob die Jewrovision politisch ist, ob sie den Eurovision Song Contest anschaut und wie sie über den Boykott des ESC denkt, erzählt sie uns im Interview.

Schon als Kind war Lena Prytula großer ESC-Fan. 2014 stand die Lehramtsstudentin dann zum ersten Mal selbst auf der Bühne. Als Hauptsängerin trat sie 2019 bei der Jewrovision, einer jüdischen Version des Eurovision Song Contests, an. Sie startete für den jüdischen Landesverband Bayern namens “Am Echad” (hebr.: “Ein Volk”). Aktuell studiert sie an der FAU Erlangen und ist Mitglied in der israelitisches Kultusgemeinde Nürnberg. Wir haben mit ihr über die Jewrovision, den Eurovision Song Contest und antisemitische Aktionen rund um den ESC geredet.

Jewrovision – Nervenkitzel, Adrenalin und Teamwork

Was bedeutet dir die Jewrovision?
Die Jewrovision ist für mich pure Euphorie. Meine erste Jewrovision war 2014, als ich 14 Jahre alt war, in Hamburg. Es war das erste Mal, dass ich so viele jüdische Menschen auf einem Haufen gesehen habe. Ich war total überwältigt. Auch Nervenkitzel, ja Adrenalin ist da im Spiel, schließlich ist man aufgeregt. Es macht auf jeden Fall sehr viel Spaß.

Bei der letzten Jewrovision 2019 bin ich als Hauptsängerin aufgetreten, ich ging für Bayern an den Start. Unser Team heißt „Am Echad“, das bedeutet auf Hebräisch „Ein Volk“. Das Lied war von The Greatest Showman „This is me“ und es war überwältigend. Ich hatte insgesamt acht Nervenzusammenbrüche, weil ich so aufgeregt war und die Emotionen so mit mir durchgegangen sind. Nach dem Auftritt habe ich geheult vor Erleichterung.

Wie kam es zu deiner Teilnahme?
Man kennt die ganzen Leute schon durch Ferienlager. Dann gibt es immer ein Casting, bei dem man etwas vortanzen, vorsingen oder auch ein Instrument spielen kann. In den letzten zwei Jahren hatten wir einen Coach, der herausgesucht hat, welches Lied wir nehmen, welche Stimme dazu am besten passt und wie das Konzept sein soll. Beim letzten Mal waren wir insgesamt sogar über 40 Leute auf der Bühne. Auch hinter den Kulissen sind ganz viele Leute, die Haare und Schminke machen oder das Video abdrehen. Denn jede Stadt hat auch ein Vorstellungsvideo, an dem super viele kreative Köpfe arbeiten. Auch Kostüme, Bühnenaufbau, Kulisse – Das muss alles gemacht werden. Da stecken schon immer über 100 Leute dabei, die anpacken.

Wie wirkt der Zentralrat auf die Jewrovision, wie unterstützt er?
Der Zentralrat trägt das Event aus und organisiert es. Dazu zählen auch, die Regeln und das Motto festzulegen. Letztes Mal war das zum Beispiel „Chai“, das hebräische Wort für „Leben“. Es ging also um den jüdischen Lebenskreislauf. Danach richten sich dann auch die Songs, die Sprache der Songs und die Videos, die produziert werden. Der Zentralrat kümmert sich auch um die Live-Übertragung und lädt Gast-Acts ein. Da waren in den letzten Jahren krasse Größen dabei, beispielsweise Nadav Guedj, der für Israel mit „Golden Boy“ beim ESC 2015 auf Platz 9 gekommen ist und Netta Barzilai, die den ESC 2018 gewonnen hat. Und auch in der Jury sind Promis wie Andrea Kiewel und Susan Sideropoulos. Und für 2020 waren „Static & Ben El Tavori“ eingeladen – das wäre unglaublich cool gewesen, die sind ja weltweit bekannt. Der Zentralrat gibt sich viel Mühe bei der Auswahl der Acts und ist gut vernetzt.

Hat die Jewrovision für dich auch eine politische Wirkung?
Nein, ich glaube die Jewrovision ist eigentlich gar nichts Politisches. Die Jewrovision ist einfach das Event, an dem man seine Freunde wiedersieht. Natürlich tritt man irgendwo gegeneinander an, aber das steht gar nicht so im Fokus, wie über ein ganzes Wochenende zusammen an einem Tisch zu sitzen, zu essen und zu erzählen, zusammen zu feiern, zu singen, zu tanzen. Ich glaube, das steht im Fokus: Die Freundschaft.

Dieses Jahr musste die Jewrovision leider abgesagt werden. Möchtest du sie, wenn sie nach Corona wieder los geht, weiterverfolgen?
Auf jeden Fall! Ich bin aktuell im Vorstand der jüdischen Studierenden-Union und gerade wir, die das schon als Kids miterlebt haben, wollen es nicht missen. Die letzte Jewrovision war 2019 und das war auch meine letzte, jetzt bin ich schon zu alt. Es wird zum Glück bald das 18+-Programm geben, für alle, die aufgrund ihres Alters nicht mehr mitmachen können. So können sie trotzdem auf die Veranstaltung mitfahren, ihre Teams anfeuern und an Seminaren teilnehmen. Wir hatten auch für das letzte Jahr schon coole Veranstaltungen für Erwachsene geplant und freuen uns darauf, wenn wir das so bald wie möglich nachholen können!

Jewrovision und Eurovision Song Contest

Wie siehst du die Beziehung zwischen ESC und Jewrovision?
Ich glaube, das profitiert auf jeden Fall voneinander. Ein Protest ist die Jewrovision auf keinen Fall, sie ist eher inspiriert vom ESC. Der ESC ist sozusagen die Mama und wir, die Jewrovision, sind das Kind, das ihr nacheifert. Das Konzept ist das gleiche, nur sind unsere Zielgruppe jüdische Gemeinden. Die Jewrovision ist vor vielen Jahren in einem kleinen Saal in Bad Sobernheim als kleines Format entstanden. Das kam so gut an, dass sie immer weiter von Gemeinden übernommen wurde. Als dann der Zentralrat die Organisation übernommen hat, wurde es ein riesiges Event mit großen Hallen, Hotels, mehr Budget für die Gemeinden und Coaches. Das Format wurde generell professioneller. 2019 waren im Saal über viertausend Leute – Das zu organisieren mit allem Drumherum, wie Anreise, Hotels und Verpflegung, ist ein riesen Act!

Der ESC ist sozusagen die Mama und wir, die Jewrovision, sind das Kind, das ihr nacheifert

Wie nimmst du den ESC generell wahr?
Da wir in der jüdischen Community in Deutschland die Jewrovision haben, haben wir eine Verbundenheit mit dem ESC. Viele gucken sich den ESC an und suchen die ein oder andere Inspiration, was die Choreografie oder Songs angeht.

Ich verbinde auch immer persönliche Dinge mit dem ESC. Als der ESC 2019 in Israel stattgefunden hat, war auch mein Geburtstag. Meine Freunde haben mich zu einem jüdisch organisierten Public Viewing mitgeschleppt. Um Mitternacht, als Madonna aufgetreten ist, wurde diese Übertragung kurz angehalten und mir wurde zum Geburtstag gratuliert. Das war total süß!

Antisemitismus und der ESC

Du hast gerade bereits von Nettas Sieg gesprochen. Der ESC fand im Anschluss daran in Israel statt. Leider gab es dann antisemitische Petitionen, die den Boykott des ESCs in Israel forderten. Hast du das damals mitbekommen?
Dieses ganze Gerede vom Boykott habe ich natürlich mitbekommen. Die isländische Band Hatari hat am Ende bei der Punktevergabe die palästinensische Flagge mit dem Slogan „free Palestine” hochgehalten. Das fand ich total respektlos. Denn du bist zu Gast in diesem Land, du hast die Ehre, dein Land zu repräsentieren. Und das ist wirklich das Bild, das du in die Öffentlichkeit senden möchtest?

Israel boykottieren zu wollen, ist auch das Ziel von BDS, also „Boycott, Divestment and Sanctions“. Diese Bewegung ist ganz klar antisemitisch gegründet worden. Ich mache immer den Witz: Wenn du Israel boykottieren willst, dann boykottiere doch alle Erfindungen, die aus Israel gekommen sind. Boykottiere USB-Sticks, boykottiere Navi-Apps, iss keine Cherry-Tomaten. Fakt ist, dass Israel ein unglaublich diverses, wunderschönes Land ist, sehr viel Kunst und Kultur zu bieten hat und sehr passend für die Austragung des ESCs ist.

Das fand ich total respektlos

Ich meine, in China sollen die Olympischen Spiele ausgetragen werden und die werden nicht boykottiert, obwohl dort ein Genozid stattfindet. Für mich ist das alles nicht verhältnismäßig und darin steckt auch Antisemitismus. Es gibt den 3‑D-Test, um zu erkennen, wo Antisemitismus anfängt. Wenn Aussagen Israel dämonisieren, delegitimieren, oder doppelte Standards anlegen, dann ist das antisemitisch. Und diese doppelten Standards kamen beim ESC 2019 auf.

Wie hast du dich gefühlt, als diese Petitionen aufgekommen sind?
Ich weiß, ich habe noch mitgefiebert, dass es am Ende doch in Israel ausgetragen wird. Ich war super glücklich, dass es dann so stattgefunden hat.

Zum Abschluss: Auf welche Acts freust du dich beim ESC 2021?
Ich mag es nicht, die Lieder vorher anzuhören, weil ich lieber auf die Performances warte und dann entscheide, was ich nice finde und was nicht. Generell finde ich aber Deutschland immer sehr schwach. Norwegen, Dänemark und Russland finde ich meistens gut. Ich bin beispielsweise ein Fan von Sergey Lazarev und fand seine Performance zu „You Are the Only One“ unglaublich toll. Auch Israel hat oft richtig coole Beiträge.

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