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Zwischen Repost und Recherche
Dunkel Hell

Zwischen Repost und Recherche

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  • Politik, Mode, Reisen – auf Social Media verbreiten viele ihre Meinung dazu. Auch Influencer*innen behandeln in oft aufwendig recherchierten Videos diese Themen, um zu informieren und aufzuklären. Eine Praxis, die jahrelang dem Journalismus zugesprochen wurde. Ist die Arbeit von Influencer*innen Journalismus?

Laut einer wissenschaftlichen Studie werden in Deutschland pro Jahr 1,7 Millionen Tonnen Elektrogeräte verkauft und 24 Millionen Smartphones.“ Mit diesen Worten beginnt ein Video auf dem YouTube Kanal „RobBubble“ von Robin Blase. Während der 28-Jährige moderiert fliegen rechts und links im Bild Zahlen ein, die Aufmachung erinnert an bekannte Infotainment Sendungen. Im Video klärt Robin über Smartphones und deren Probleme für die Umwelt auf. Er präsentiert Fakten, der Inhalt scheint gut recherchiert. Viele solcher Beiträge auf Videoplattformen oder Social-Media- Kanälen werden allerdings von sogenannten Influencer*innen erstellt. Macht sie das zu Journalist*innen?

Markus Behmer, Professor am Bamberger Institut für Kommunikationswissenschaft, erklärt, wie Journalismus definiert wird: „Journalismus ist ein freier Beruf, jeder und jede kann und darf sich Journalist*in nennen.“ Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verwendet auf seiner Internetseite diese Definition zum Berufsbild: „Journalistin oder Journalist ist, wer professionell Informationen, Meinungen und Unterhaltung mittels Wort, Bild, Ton oder Kombinationen dieser Darstellungsmittel über analoge und digitale Medienkanäle erarbeitet und verbreitet.“ Im Bereich der Kommunikationswissenschaft wird die Definition anhand der Tätigkeit festgelegt. „Zur journalistischen Tätigkeit gehört erstmal die Recherche. Und dann das Aussagenerstellen, also Nachrichten schreiben, kommentieren, kritisieren und so weiter,“ erklärt Professor Behmer.

Jeder und jede kann und darf sich Journalist*in nennen

Genauso undefiniert ist der Begriff Influencer*in. „Influencer*in kann sich auch jede*r nennen, der oder die das Anliegen hat, Informationen weiterzugeben, und Einfluss nehmen will,“ sagt Behmer. Hier gibt es aber eine Einschränkung, denn Influencer*innen zielen auf eine unbegrenzte Zuhörerschaft hin. XYZ mit seiner Insta-Story für die zehn besten Freund*innen wird nicht gleich zum Influencer.

Somit wird klar: Unter den Begriff „Journalismus“ fällt auch einige Arbeit von Influencer*innen. Andere würden mehr unter den Bereich Marketing fallen, also das „klassische“ Produkt-Anpreisen: „Das ist eher Öffentlichkeitsarbeit als Journalismus,“ meint Behmer.

Wortwörtlich beeinflussen Influencer*innen. „Was sie vermitteln, ist dann nicht klassische Information, sondern eine Aufmerksamkeitslenkung auf bestimmte Dinge, die sie wichtig finden.“ Kernaufgaben des Journalismus sind eine möglichst wertneutrale Information, Kritik, Meinungsbildung und Kontrolle der Politiker*innen. Nach der Definition des DJV wären allerdings beide Gruppen Journalist*innen. „Den oder die typische*n Influencer*in gibt es genauso wenig, wie den oder die typische*n Journalist*in.“ Beide Seiten können voneinander lernen und profitieren. Nicht nur Influencer*innen können journalistisch arbeiten, auch Journalist*innen sind andersherum Influencer*innen. „Es sollte auch keine feste Grenze geben, was Journalismus ist“, warnt Behmer und erinnert an Zeiten wie im Dritten Reich, als klar definiert war, wer sich als Journalist*in bezeichnen durfte. Eine Konkurrenzsituation gibt es zwischen Influencer*innen und klassischen Medien in einigen Ressorts, wie im Unterhaltungsjournalismus, allerdings schon. „Reiseblogs sind für viele attraktiver, als Reisejournalismus.“

Eine Qualitätsdebatte statt einer Grenze

Statt einer Grenze brauchen wir laut Behmer eine Qualitätsdebatte. Sein Appell: mehr Medienpädagogik, kritisches Hinterfragen der Inhalte, Aufklärung. Diese Ausbildung zum kompetenten Umgang mit Medien sollte aber nicht nur auf der Nutzer*innenseite, sondern auch auf der der Medienschaffenden vorhanden sein. Influencer*innen sollten ebenso gut geschult sein, auch in Bezug auf journalistische Ethik und sich ihrer Verantwortung, die sie durch das Verbreiten von Informationen übernehmen, bewusst sein.

Maria Popov ist Redaktionsleiterin und Moderatorin bei dem Funk Kanal „Auf Klo“ mit 288.000 Abonnent*innen. Funk ist eine gemeinsame Online-Plattform der Öffentlich- Rechtlichen. Somit muss auch „Auf Klo“ diesem Anspruch gerecht werden. Jede Folge „Auf Klo“ entsteht in enger Zusammenarbeit mit den Sendern, nichts verlässt die Redaktion ohne Faktenchecks. Bei der Skriptbesprechung gilt es, den Jugendschutz einzuhalten. Bei Funk Angeboten wie „Auf Klo“ zeigt sich: Wer qualitativ hochwertigen Journalismus macht, kann auch Influencer*in sein. Die Arbeit für öffentlich-rechtliche Medien empfindet Maria als großes Privileg. Eine feste Bezahlung sei wichtig für Qualitätsmanagement und journalistische Ansprüche. Faktenchecks brauchen Zeit. „Diesen Kosmos braucht man, um unabhängig zu sein. Das ist auch, was ich neutralen Journalismus nenne. Neutral bedeutet bei mir nicht, dass das keine Haltung hat.“

Bis heute ist die Mehrheit weiß und privilegiert

Seit vier Jahren produziert das Team für ihren YouTube Kanal eine Talkshow als Aufklärungssendung. Sie erklären komplexe Inhalte in vereinfachter Sprache. Marginalisierte Gruppen kommen verstärkt zu Wort, viel dreht sich dabei um Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Sexualität oder persönlichem Hintergrund.

„Dabei repräsentieren wir Themen, die eigentlich eine riesige Masse ansprechen. Auch wenn vielleicht nur ein Prozent der Gesellschaft intersexuell sind, geht uns das alle was an. Wir wollen Menschen und ihren Geschichten eine Plattform bieten, die sonst in den Medien unterrepräsentiert sind“, erklärt die 27-Jährige.

Zum Thema Haltung hört Maria allerdings auch Kritik. „Das Wissen ist wichtig, dass Medien schon immer mit Haltung produziert haben, aber so getan haben, als wäre es nicht so. Bis heute ist die Mehrheit der Menschen, die Medien machen, weiß und privilegiert. Die haben bis jetzt Medien für sich selbst gemacht und das ist ihnen nicht aufgefallen, weil ihnen immer die Hoheit an Entscheidungskraft gegeben wurde.“

Maria wünscht sich, dass jede*r von den Medien abgeholt wird. Viel zu oft sei das deswegen aber nicht möglich. Viele große Medien berichten über Probleme von gewissen Menschen, die selbst aber oft gar keinen Zugang zur Arbeit im Journalismus finden würden. Nicht jede*r hat die Möglichkeit zu einer Journalismusausbildung. Schon ein Volontariat ist oft mit Privilegien verbunden: „Manchen legt da ihr Bildungsweg, Klassismus oder Rassismus Steine in den Weg.“

Es geht um persönliche Leistung, Sorgfalt und Ethik

Journalistische Arbeitsweisen kann sich jede*r auch selbst beibringen – über spezielle Seminare, Praktika, durch praktische Arbeit in der Freizeit. Sie selbst hat keine klassische Journalismus-Ausbildung hinter sich, nach dem Bachelor in Medienwissenschaft an der Uni Siegen kam sie über ein Praktikum zu „Auf Klo“ – sie wurde dann übernommen und ist geblieben. Das Filmemachen hat sie sich zum Teil selbst beigebracht. „Wer Potenzial hat, dem*der sollte das nicht durch die Umstände verwehrt bleiben.“ Robin, vom Kanal „RobBubble“ findet: „Es gibt gute Journalisten, die haben keinen Journalismus studiert; es gibt gute Blogger, die vorher bei Zeitungen gearbeitet haben; es gibt YouTuber, die bessere journalistische Arbeiten abliefern, als mancher bei einem großen Verlag – weil es hier um persönliche Leistungen, Sorgfalt und Ethik geht.“

Dieser Text war Teil unserer Ausgabe “Digital”.

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